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Zur
Freiheit berufen
Der Buchautor, Lebensbegleiter und Priester Peter Dyckhoff
Eine Wildgans-Formation kündigt sich durch rauschenden
Flügelschlag und vielstimmiges Rufen an. Peter Dyckhoff
unterbricht das Gespräch und eilt in den Garten. „Immer
wenn ich die Wildgänse höre, muss ich raus",
entschuldigt sich der katholische Geistliche. Ehrfürchtig
blickt er den Zugvögeln, diesen Vagabunden der Freiheit,
hinterher. Freiheit ist überhaupt das Lebensthema des
66-jährigen Buchautors und Lebensberaters.
Dyckhoff lebt und arbeitet in einer Landschaft, die der
Seele gut tut. Auf dem platten Land bewohnt er im westfälischen
Senden mit seinem Mischlingshund Kino einen abgelegenen
Bauernhof. Um ihn herum Acker, Bäume, Ruhe. Hier scheint
der sensible Sucher nach jahrzehntelangem Ringen mit sich,
Gott und der Kirche endlich angekommen zu sein. „Entwickle
dein Potenzial, werde du selbst", lautet sein Credo,
das er in Büchern und Vorträgen verkündet.
Der Seelsorger spricht aus eigener, leidvoller Erfahrung.
Sein Vater, Eigentümer eines westfälischen Textilunternehmens,
erklärte ihm schon als Vierjährigen, dass er später
das Familienerbe anzutreten habe. „Ich hatte mich
danach zu richten." Dyckhoffs eigene Interessen waren
nicht gefragt. Ohnmacht zu erleben, Macht auf andere auszuüben,
waren ihm auch in seiner Jugend ein Gräuel. Auf Wunsch
seines Vaters lernte der Sohn reiten. Das Bild von „verbissenen
Leuten", die den Pferden die Sporen in den Bauch bohren
und ihren Willen aufzwingen, hält Dyckhoff für
eine „Vergewaltigung der Natur". Bei so viel
innerem Widerstand verwundert es nicht, dass er eines Tages
vom Pferd stürzte und ein Jahr im Rollstuhl saß.
„Blick für die Unerlösten"
Eigentlich wollte er Priester werden. Aber um „Vater
nicht zu enttäuschen", studierte er nach seiner
Genesung zunächst Betriebswirtschaft und Jura. „Das
hatte erneut mit Macht, Gewalt und Härte zu tun."
Richtig Freude machte ihm ein Psychologiestudium, bei dem
ihn seine Eltern wenig unterstützten. Während
der Abschlussprüfung verunglückte der Vater tödlich.
„Mutter stand da mit 220 Mitarbeitern und deren Familien
- das Schicksal hatte gerufen".
Notgedrungen übernahm Dyckhoff für zwölf
lange Jahre die Firmenleitung, auch wenn er „von Tuten
und Blasen keine Ahnung" hatte. Die hohe Verantwortung,
die riesigen Geldsummen, der enorme Erwartungsdruck belasteten
ihn. Was soll produziert, welche Garne gekauft, welche Modetrends
befriedigt werden? Betriebliche Fehlentscheidungen blieben
trotz vieler Überstunden nicht aus. Seine langjährige
Freundin trennte sich von ihm. Seine Sehn-Sucht nach einem
anderen Leben ertränkte er in Alkohol. Sein Stress
trieb ihn in die Medikamentenabhängigkeit. Materiell
ging es ihm zwar nicht schlecht - „doch ich konnte
es nicht genießen, es war ein Krampf über Jahre".
Damals habe er „Hilferufe an den Schöpfer"
losgelassen, sehnte sich nach Freiheit und Innerlichkeit.
In dieser Krise stand ihm niemand bei, „ich hatte
keinen Menschen, der Freund war und mit dem ich reden konnte".
Auch die Kirche habe ihm keinen Halt und „keine Hilfe
vom Menschlichen her" geboten. Dyckhoff suchte nach
einer „tieferen Wahrheit", nach etwas Erlösendem
- auch bei Hare Krishna und in Sekten.
1970 lernte er dann bei einem Seminar das christliche Ruhegebet
kennen, das ihn bis heute begleitet. „Zum ersten Mal
habe ich erfahren, dass ich nichts leisten muss und loslassen
darf." Ein Wendepunkt, den Dyckhoff fast mit einer
persönlichen Auferstehung vergleicht: „Ich spürte:
Das Leben ist Dir neu geschenkt." Er suchte einen Firmennachfolger,
bügelte alte Fehler aus, überwand ohne Therapie
seine Alkohol- und Medikamentensucht, „es fiel einfach
ab von mir". 1976 gab er die Firma endlich ab, war
er „frei", gründete er auf Grund seiner
spirituellen Erfahrung ein geistliches Zentrum. Doch bald
merkte er, den „Beladenen keinen Halt geben zu können".
Dyckhoff spürte: „Ich kann zum Heil nur wirken,
wenn der Heiland mitschwingt." Da war er wieder - der
starke Wunsch, Priester zu werden.
Vor 27 Jahren, mit 39 Jahren, wagte er den radikalen Neubeginn
und begann in Münster sein Theologiestudium. Mit seinen
indischen Entspannungsübungen eckte er aber schnell
an im Priesterseminar. Für „durchgedreht"
sei er gehalten worden, ihm wurde unterstellt, die Kirche
mit asiatischem Gedankengut zu zersetzen. „Die Machtstruktur
war größer als mein kleines liebendes Herz",
erinnert sich Dyckhoff an seinen Kirchenprozess und den
Rauswurf aus dem Priesterseminar, für den sich die
Verantwortlichen später entschuldigten.
Religionsunterricht in der Turnhalle
Münster sei ihm ohnehin „viel zu eng" gewesen.
Die katholische Universität im Südtiroler Brixen
nahm ihn vorbehaltlos auf. Dort empfing er 1981 die Priesterweihe,
arbeitete als Kaplan und Krankenhausseelsorger. Unkonventionell
war er auch als Religionslehrer: Die Religionsstunde verlegte
er kurzerhand in die Turnhalle und ließ sich die Schüler
erst einmal austoben. „Die restlichen 20 Unterrichtsminuten
waren die Kinder entspannt und innerlich wach." Zu
manchen von ihnen hat er bis heute Kontakt. Krankheitsbedingt
kehrte Dyckhoff nach Deutschland zurück. Zunächst
wirkte er als Seelsorger im rheinischen Kevelaer, Ende der
80er Jahre beauftragte ihn der Hildesheimer Bischof Josef
Homeyer, ein Bildungshaus aufzubauen. Dyckhoff leitete das
„Haus Cassian" bis 1999 und lebt seitdem in Senden.
Dort suchen den Seelsorger mitunter wildfremde Menschen
auf, „die sonst niemanden - auch keinen Priester -
gefunden haben, mit dem sie reden können". Er,
der in seiner eigenen früheren Lebenskrise niemand
hatte, nimmt sich für sie viel Zeit - „wenn ich
geistlich aktiv bin, lege ich die Uhr ab". Manche seiner
Besucher kommen „mit einer großen Last",
denen er trotz aller Schwere eine Perspektive zu vermitteln
versucht. Geglücktes Leben deutet Dyckhoff aus eigenem
Erleben als Ent-Wicklung: Befreiung aus Ängsten, Zwängen,
Fremdbestimmung, um schließlich sich selbst zu finden.
Diese Entfaltung dürfe allerdings nicht als Ego-Trip
missverstanden werden. Was in einem zum Leben erwache, sei
Gabe und Aufgabe zugleich. Bei suchenden Menschen trifft
Dyckhoff offenkundig einen Nerv. Entgegen aller Schicksalsschläge
und Zukunftsangst strahlt der Pastor christliche Hoffnung
aus: „Da ist eine Kraft in uns. die es unendlich gut
mit uns meint und die uns nicht ins Bodenlose sinken lässt."
Seelsorgern seien „große Spielräume"
gegeben, wenn die Liebe herrschen dürfe, ist Dyckhoff
überzeugt. Mit seinem weiten Denken und Freiheitsdrang
hat sich der Pastor und Buchautor aber nicht nur Freunde
gemacht. Weil er provoziere, habe er in der Kirche auch
Gegner, die ihn „wie eine Laus zerdrücken"
wollen. Doch diese Reibung mache das Leben erst spannend.
Dyckhoff hat Frieden geschlossen mit seiner Kirche. Nach
seiner langen spirituellen Suche und dem Studium vieler
Religionen sage er „ganz Ja zum Christentum".
Gleichwohl hält der kritische Kopf das Christentum
für längst noch nicht „ausgeschöpft".
Die „verwandelnde Kraft" des Glaubens gerate
in der Kirche all zu oft in den Hintergrund. Dyckhoff jedenfalls
hat diese befreiende Lebenskraft erfahren. Er sträubt
sich bei dem Gedanken, „die Schäfchen zusammenzuhalten
- ich will sie frei lassen". Frei wie die Wildgänse,
die ihren Weg auch ohne Karte und Kompass finden.
Angelika Prauß
Katholische Nachrichten Agentur
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